Das einsame Gewissen oder: Der Weg des Kurt Gestein

Autor Wolf Scheller und Regisseur Hein Bruehl. WDR3 2003 (Redaktion: Feature und Literatur)

Begründung der Jury

Der SS-Obersturmführer Kurt Gerstein, mitverantwortlich für den Massenmord in den Gaskammern der Vernichtungslager durch das nationalsozialistische Regime und Augenzeuge des Holocausts, zählt noch immer zu den widersprüchlichen Persönlichkeiten der deutschen Zeitgeschichte. Seit Rolf Hochhuths Drama Der Stellvertreter interessieren sich auch die Deutschen endlich wieder für einen Eliteoffizier, den die einen für einen „Spion Gottes“ und einen der engagiertesten Widerstandskämpfer halten, die anderen für einen Mittäter, wieder andere für ein Opfer jener von seinem Vater geprägten strengen evangelischen Erziehung, wonach die Verantwortung stets bei dem Befehlshaber, nicht bei dem Befehlsempfänger liege.

Das Hörfunk-Feature des Westdeutschen Rundfunks präsentiert ohne aufgesetzte Effekthascherei Dokumente wie den „Gerstein-Bericht“ über die Massenvernichtung, Zeitzeugenberichte, Erinnerungen seiner Freunde und Aufzeichnungen des Widerstandskämpfers, der sich 1945 in einem Pariser Militärgefängnis das Leben nahm.

Wolf Scheller zeichnet den Lebensweg eines zunächst obrigkeitsgläubigen evangelischen Christen über sein Entsetzen als Augenzeuge vor den Gaskammern, seinen vergeblichen Appellen an die christlichen Kirchen und das Ausland bis hin zu seiner Verzweiflung nach, nicht gehört und nicht verstanden zu werden. Der Autor setzt auf die Fakten wie die persönlichen Erinnerungen der Zeitzeugen, er verzichtet auf vorschnelle Erklärungsmuster und vertraut dem Urteilsvermögen eines zur Differenzierung fähigen Publikums.

So entstand eine der faszinierendsten Dokumentationen der letzten Jahre für den Hörfunk, die zugleich die derzeit geläufige Auffassung widerlegen kann, wonach „Zuhörprogramme“ nichts anderes als „Ausschaltprogramme“ seien.

Die Jury vergibt den Preis an den Autor Wolf Scheller und an den Regisseur Hein Bruehl, der für seine sensible und dem historischen Stoff voll angemessene Regiearbeit wesentlich an der Qualität dieser Sendung beteiligt ist.