Bericht Kindermedien 2024

Geht es um Kinderfernsehen, fällt gern der Begriff „Augenhöhe“: Die Redaktionen sollen die Zielgruppe nicht von oben herab behandeln, sondern der kindlichen Perspektive gerecht werden. Handwerklich lässt sich das zum Beispiel umsetzen, indem Kameraleute in die Knie gehen, wenn sie Kinder filmen. „In die Knie“ heißt jedoch nicht „auf die Knie“: Viele Produktionen privater Sender zeigen, was dabei herauskommt, wenn man sich dem jungen Publikum mit bunten Bildern und nervtötend lauten Stimmen anbiedert. Gutes Kinderprogramm gefällt jedoch auch Erwachsenen, und das gilt keineswegs nur für Jurymitglieder, wie das Durchschnittsalter bei der „Sendung mit der Maus“ beweist. Man muss nicht im Herzen jung geblieben sein, um gerade die Informationsangebote auch des Kinderhörfunks zu schätzen. In den Dokumentationen und Reportagen für Radio und Fernsehen werden die komplexen historischen Hintergründe aktueller Ereignisse so gut erläutert, dass sie sich womöglich auch vielen Müttern und Vätern erst jetzt richtig erschließen. Ähnlich wie gute Kinderbücher sprechen die besten Filme, Serien oder Podcasts für Kinder ohnehin auch deren Eltern an. 

 

Bester Beleg für diese These ist die RTL-Serie „Neue Geschichten vom Pumuckl“ aus dem Kindermedienjahrgang 2023. Wer in den Achtzigern mit der BR-Serie aufgewachsen ist, wird zunächst womöglich skeptisch gewesen sein; es gibt genug Beispiele für komplett uncharmante neue Digitaladaptionen von Zeichentrickklassikern. Mit den von Marcus H. Rosenmüller („Wer früher stirbt ist länger tot“) auf handwerklich hohem Niveau inszenierten dreizehn Folgen ist Neuesuper – Produzent Korbinian Duffner war gemeinsam mit Matthias Pracht auch maßgeblich für die Drehbücher verantwortlich – ein kleines Wunder gelungen, denn die Serie findet eine vorbildliche Balance: Die mit viel Liebe zum Detail ausgestattete Produktion ist das perfekte Familienprogramm. Sehr schön ist unter anderem die Idee, nicht einfach ein Remake zu konzipieren, sondern eine originalgetreue, aber dennoch behutsam modernisierte Fortsetzung zu entwickeln: Der von Florian Brückner ungemein sympathisch verkörperte Neffe von Meister Eder erbt mit der Werkstatt des verstorbenen Onkels auch den Pumuckl, der in den neuen Folgen deutlich kindlicher ist. Die Bücher bieten eine ausgewogene Mischung aus lustigen und ernstzunehmenden Momenten. Besonders berührt war die Jury von der Folge, in der Eder junior dem Kobold erklärt, was es mit dem Tod auf sich hat. Die Inszenierung nimmt sich zudem viel Zeit für die komplexe Beziehung der beiden Hauptfiguren. Auch die akustische Ebene ist mehr als bloß eine Erwähnung wert, weil es mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz gelungen ist, den Pumuckl-Sprecher Maxi Schafroth wie die Stimme von Hans Clarin klingen zu lassen. Große Anerkennung gebührt zudem Studio Soi für die herausragend gute Animation der makellos in die realen Bilder integrierten Titelfigur; auch hier zeigt sich unter anderem bei dem Schatten, den der Kobold wirft, die große Sorgfalt, mit der die Drehbücher umgesetzt worden sind.  

 

Weil die Jury traditionell nur ungern zwei ähnliche Produktionen auszeichnen möchte – also etwa zwei Serien oder zwei Dokumentationen, womöglich auch noch vom selben Sender –, stellt der Kakadu-Podcast „Was ist Antisemitismus?“ von Ilka Lorenzen (Redaktion, Buch) und Patricia Pantel (Moderation, Buch) eine ideale Ergänzung zur RTL-Serie dar. Der Preis ist auch eine Würdigung des Versuchs, sich dieses gerade vor dem Hintergrund des Hamas-Massakers sowie angesichts der Proteste gegen die israelischen Militäraktionen im Gazastreifen brisanten Themas anzunehmen. In vielen Schulen wird darüber nicht gesprochen; wohl auch aus Angst, dass die Diskussion eine heikle Eigendynamik annehmen könnte. Entsprechend hoch ist es Deutschlandfunk Kultur anzurechnen, diese Lücke geschlossen zu haben. Das weder verharmlosende noch bevormundende Ergebnis ist angesichts des Zielgruppenalters umso beeindruckender: Das Kinderprogramm Kakadu ist für Sechs- bis Zwölfjährige gedacht, ein Publikum also, bei dem nur wenig Vorwissen erwartet werden darf; selbst wenn die Autorinnen bei der Konzeption vermutlich eher Kinder ab zehn Jahren vor Augen hatten. Ihr Podcast behandelt nicht nur die Frage, woher der Hass gegen Juden rührt und was er anrichtet, sondern informiert auch über die jüdische Kultur. Zwar ließe sich kritisch anmerken, dass die Perspektive nicht auf den Gazakrieg ausgeweitet wurde, aber das erschien der Jury legitim, zumal dieser Aspekt den Rahmen der halbstündigen Sendung gesprengt hätte. Gleiches gilt für den Hinweis, dass Antisemitismus in Deutschland in den letzten Jahren nicht zuletzt durch die muslimische Migration neu befeuert worden ist. Davon abgesehen sind es gerade die Aussagen der jungen jüdischen Mitwirkenden, die den Podcast mit ihren Glaubensbekenntnissen zu einem herausragenden Hör-Erlebnis machen; und so ist der Kakadu-Beitrag ein mustergültiges Beispiel dafür, wie sich anspruchsvolle Informationen zu einem durchaus heiklen Thema sachlich und zielgruppengerecht aufbereiten lassen. Dem Autorinnenduo ist eine Sendung gelungen, die auch dank der sympathischen jüdischen Komoderatorin ein starkes Zeichen setzt, im besten Fall Eltern und Kinder miteinander ins Gespräch bringt und keinen Zweifel an ihrer Botschaft lässt: Antisemitismus geht uns alle an. 

 

Ein weiteres Anliegen der Jury ist die Einmütigkeit der Entscheidungen; in der nunmehr zwanzigjährigen Geschichte des 2004 erstmals vergebenen Kinderpreises gab es noch nie eine Kampfabstimmung. Trotzdem war die Entscheidung beim dokumentarischen Preis denkbar knapp: Bei anderer Gemengelage wäre Siham El-Maimouni, „eine unfassbare Bereicherung fürs Kinderfernsehen“, als Präsentatorin der „Marokko-Maus“ sichere Preisträgerin gewesen. Vielleicht wäre die Entscheidung auch anders ausgefallen, wenn sie nicht bereits den Grimme-Preis bekommen hätte. Für die zweiteilige Sonderausgabe der „Sendung mit der Maus“ (WDR, Autorin: Birgit Quastenberg) hat die gebürtige Duisburgerin das Heimatland ihrer Eltern bereist. Über diese persönliche Ebene finden die beiden Filme und somit auch das Publikum einen ganz besonderen Zugang zu dem Land: „Informativ, aber nicht belehrend, mit viel Respekt und Neugier“, so die Jury, biete die Reportage ausgezeichnete Einblicke in ein Land zwischen uralten Traditionen und Moderne. Auch wenn es hinsichtlich eines Details Zweifel an der journalistischen Sorgfalt ab, so seien die beiden Teile dennoch geeignet, Vorurteile abzubauen. Außerdem gäben sie eine intelligente Antwort auf jene Frage, die Menschen mit sichtbarem Migrationshintergrund immer wieder hören: „Wo kommst du eigentlich her?“ Trotzdem wog im Vergleich mit der Produktion von DLF Kultur nicht zuletzt die Aktualität des Kakadu-Podcasts schwerer als der zudem recht touristische Ausflug nach Marokko.

 

Jenseits dieser drei bereits früh favorisierten Einreichungen gab es weitere positiv diskutierte Sendungen, die aber aus verschiedensten Gründen nicht für einen Preis in frage kamen. Die Kategorie umfasste in diesem Jahr knapp dreißig Produktionen; bei rund der Hälfte hatte die Jury keinerlei Gesprächsbedarf. Die Vorschläge von Funk wirkten ohnehin deplatziert. Das Online-Angebot von ARD und ZDF richtet sich zwar an Jugendliche ab 14 und überschneidet sich somit so eben noch mit der „Kindermedien“-Zielgruppe, aber die eingereichten Sendungen richteten sich eindeutig eher an junge Erwachsene. Eine echte Leerstelle bildete diesmal der Bereich Animation. Anspruchsvolle Zeichentrickserien gibt es kaum noch, und wenn doch, dann handelt es sich um internationale Koproduktionen, deren deutsche Anteile oft überschaubar sind. Gutes Kinderfernsehen muss man sich zudem leisten können und wollen, weshalb ProSiebenSat.1 gar nicht vertreten war, die RTL-Gruppe dagegen mit immerhin vier Sendungen. Nach der letztjährigen Auszeichnung für einen Beitrag aus der RBB-Reihe „Ohrenbär“ gab es diesmal deutlich mehr Hörspiele und Podcasts; die Erweiterung der früheren reinen Kinderfernseh-Kategorie hat sich offenbar rumgesprochen. 

 

Auch inhaltlich war das Spektrum breitgefächert. Nahezu alle Themen, die die Gesellschaft im vergangenen Jahr bewegt haben, spiegelten sich auch in den Einreichungen wider. Angesichts der Relevanz dieser Beiträge und natürlich auch mit Blick auf die Statuten kam allerdings deutlich zu kurz, „was Kindern Spaß macht“, wie die Jury bedauerte. Das hing nicht zuletzt mit einem in diesem Jahrgang deutlichen Übergewicht der nonfiktionalen Produktionen zusammen. Die Weihnachtsmärchen von ARD und ZDF, sonst regelmäßig dabei und auch schon mehrfach ausgezeichnet, sind gar nicht erst eingereicht worden. Bei der Serie „Slava der Hund“ (NDR, Buch und Regie: Maria von Heland) über eine geflüchtete ukrainische Familie wurde neben dem optischen Aufwand zwar der Mut bewundert, eine Geschichte über Kinder unter zehn und somit für eine entsprechende Zielgruppe zu erzählen, aber die Umsetzung leide unter dem offenkundigen Anspruch einer möglichst künstlerischen Gestaltung. Die Szenen mit den erwachsenen Mitwirkenden (Heike Makatsch, Sandra Borgmann, Sibel Kekilli) bleiben für Kinder oft völlig undurchschaubar, die Synchronisation ist stellenweise schlicht miserabel. Ähnlich differenziert fiel die Bewertung der von einem vierköpfigen Drehbuchteam geschriebenen Kika-Serie „Gong! – Mein spektRakuläres Leben“ (Regie: Hannah Lisa Paul) aus: Die einzelnen Folgen wirkten uneinheitlich, die Botschaften würden überdeutlich und zudem wiederholt vermittelt. Der erzählerische Ansatz fand jedoch großen Anklang: Die von  Julia Kovács sehr glaubwürdig verkörperte Heldin der Serie, Eileen, ist ein sympathisches autistisches Mädchen, das unbedingt „dazu“ gehören möchte. Die Mitwirkenden in den Nebenrollen sind jedoch weit weniger überzeugend. 

 

Der NDR, in früheren Jahren regelmäßig mit den „Pfefferkörnern“ vertreten, hatte sich diesmal mit „Klein gegen Groß – Das unglaubliche Duell“ um einen Preis beworben. Dafür kam die Samstagsshow zwar schon allein wegen ihres Alters nicht in frage – den von Kai Pflaume moderierten Talentwettbewerb zwischen Kindern und prominenten Erwachsenen gibt es bereits seit 2011 –, aber positiv zur Kenntnis wurde sie trotzdem genommen: „All Age“-Produktionen dieser Art fallen auch in der Wahrnehmung durch die Fernsehkritik gern durchs Raster und sind vermutlich nicht nur beim Geisendörfer-Preis unterbewertet. Dabei steht „Klein gegen Groß“, wie die Jury anerkannte, ähnlich wie „Frag doch mal die Maus“ (WDR) „für ein generationelles Miteinander“: Beide Shows werden von Kindern und Eltern gemeinsam gesehen; Familienfernsehen dieser Art gibt es kaum noch. 

 

Enttäuscht war die Jury dagegen von Marco Giacopuzzis Film „Lian“ (HR). Im Mittelpunkt des Beitrags für die Kika-Reihe „Schau in meine Welt!“ steht ein Zehnjähriger, der keinen Kontakt mehr zu seinem Vater hat. Während die Szenen mit dem Jungen sehr authentisch sind, weil Giacopuzzi, Geisendörfer-Preisträger 2017 („Jons Welt“), Lians Traurigkeit jederzeit glaubhaft vermittelt, wird die Qualität des Films ganz erheblich durch den Schluss konterkariert, als der abwesende Vater plötzlich wie ein Deus ex machina auftaucht. Wie auch immer die tatsächlichen Begebenheiten gewesen sein mögen: Das Happy End wirkt, als sei es eigens für die Kamera initiiert worden. Schade um dieses wichtige Thema, zumal sich viele Kinder in vergleichbaren Situationen völlig hilflos fühlen, weil ihnen die Welt der Erwachsenen fern und verschlossen erscheint. 

 

Ähnlich einhellig war das Urteil zu „Julia – Ich bin, wer ich bin“ (RBB, Buch und Regie: Stefanie Köhne). Auch bei diesem „Schau in meine Welt!“-Film lobte die Jury die Auswahl des Themas und der Protagonistin: Die zehnjährige Julia ist als Junge zur Welt gekommen. Die Sendung zeigt sie in ihrem Alltag und zeichnet ein rundum positives Bild, ist aber insgesamt sehr konventionell und wirkt stellenweise inszeniert; mitunter hört man förmlich die Regieanweisung („Setzt euch doch mal auf die Couch und schaut euch die Bilder von früher an“). Außerdem bleiben wichtige Aspekte offen: Der Identitätskonflikt des Kindes wird ebenso ausgespart wie die Frage, wie es wohl weitergehen mag, wenn Julia in die Pubertät kommt. Weil die Autorin offenbar keinen Schatten auf die freundliche Anmutung fallen lassen wollte, werde die Problematik zugunsten der Botschaft „alles easy“ geradezu verniedlicht, kritisierte die Jury: „Wenn ich Hormone nehme, werde ich ein Mädchen.“ Dass Julia nicht nur auf Kinder verzichten müsse, sondern womöglich auch ihre Libido einbüße, werde ignoriert, weshalb die Reportage in gewisser Weise „unehrlich und ideologisch“ sei. Das skandinavische Fernsehen sei in dieser Hinsicht viel weiter, etwa mit Langzeitdokumentationen, die Kinder wie Julia durch ihre gesamte Pubertät begleiteten. 

 

Dritte Produktion über ein besonderes Mädchen war „Juli tanzt“. Die Titelheldin des ZDF-Musicals (Regie: Melanie Waelde, Buch: Maike Rasch) wird wegen ihrer fülligen Statur gehänselt. Als Mitschüler Micky sie bittet, als Tänzerin in einem Video mitzuwirken, fürchtet Juli, der Freizeit-Rapper wolle sich über sie lustig machen. Aber sein Song, ein Liebeslied mit viel Gefühl, gefällt ihr; und Micky auch. Von der Idee, die Problematik des „Bodyshamings“ in Form eines Musicals aufzubereiten, war die Jury ebenso angetan wie von Hauptdarstellerin Jedidah-Isabel Annor, die „Power und Lebenslust“ ausstrahle. Kritisiert wurden die holzschnittartigen Nebenfiguren sowie die spannungsarme und optisch einfallslose Umsetzung; gerade die Szenen in einem leeren Schwimmbad, in dem Juli aus Micky einen Tänzer machen will, seien viel zu lang geraten. Trotzdem gab es großes Lob für das ZDF: Abgesehen von den ARD-Märchen sind kurze Langfilme wie „Juli tanzt“ oder im letzten Jahr „Geheime Schatten“ die einzigen sechzigminütigen Produktionen im deutschen Kinderfernsehen. 

 

Für und Wider gab es auch bei einer Ausgabe von „logo! extra“. Linda Joe Fuhrich (Buch und Regie) hat anlässlich des letztjährigen Weltkindertages Familien besucht, die jeden Cent umdrehen müssen. Die Jury beanstandete angesichts ausführlicher Rückblicke auf eine frühere Sendung zum selben Thema jedoch, dass sich der Film „Reiches Deutschland – arme Kinder?“ allzu sehr in Selbstreferenzialität gefalle. Wenn Fuhrich schon ausdrücklich darauf hinweise, dass „Wir als ‚logo!’“ seit Jahren über das Thema berichteten, hätte sie auch erklären müssen, warum sich trotzdem nichts geändert habe; von den Gefühlsfragen, die sie den Kindern stelle, ganz zu schweigen. Außerdem differenziere der Film nicht zwischen Armut und Armutsgefährdung. Offen bleibt zudem die Titelfrage, warum es in einem reichen Land wie dem unsrigen arme Kinder gibt. Gründe würden zwar angerissen, aber viel zu kurz; so werde zum Beispiel ohne weitere Erläuterung ein Zusammenhang zwischen Kinderarmut und dem Krieg in der Ukraine angedeutet. Auch hier wurden jedoch die Auswahl des Geschwisterpaars und der gute Draht der Reporterin zu den beiden gelobt. Diese Feststellung zieht sich seit Jahren durch die Diskussionen gerade über „Schau in meine Welt!“, aber auch über andere Reportagen. In diesem Jahr galt sie auch für einige der szenischen Produktionen: Die Redaktionen finden oftmals wichtige Themen und tolle Hauptfiguren, machen jedoch viel zu wenig draus.