Begründung der Jury:

Drei Stunden und 47 Minuten Fernsehen, die weh tun und die fassungslos machen. Vier Folgen, die minutiös den Aufbau diktatorischer Strukturen und das Entstehen eines Staates im Staat nachzeichnen Mit ihrem dokumentarischen Vierteiler „Colonia Dignidad – Aus dem Innern einer deutschen Sekte“ ist Annette Baumeister und Wilfried Huismann eine erdrückend dichte Chronik eines über drei Jahrzehnte andauernden Verbrechens meisterlich gelungen. Sie lassen uns in die Abgründe einer deutschen Sekte in Chile blicken, und wir sehen das radikale Böse.

Annette Baumeister und Wilfried Huismann ergänzen nicht nur vorhandenes Wissen über die Geschichte dieser düsteren „Kolonie“ um neue Aspekte und eindringliche Bild- und Tondokumente. Ehemalige Sektenmitglieder berichten zum ersten Mal vor der Kamera von ihren Traumata, vom fortschreitenden Größenwahn des Sektengründers, von Misshandlung und sexueller Gewalt gegen Kinder, von Folter und Mord. Wir erfahren aus ihren Erzählungen, wie die Mechanismen der Entmenschlichung eingesetzt und gesteigert werden. Mädchen und Jungen werden getrennt, ebenso Frauen und Männer, Eltern und Kinder. Arbeit wird nicht entlohnt. Petzen wird Pflicht. Menschen werden gegeneinander ausgespielt und aufeinandergehetzt. „Wir waren robotisiert“, heißt das Resümee.

Annette Baumeister und Wilfrid Huismann lassen den Menschen vor der Kamera Zeit; und es ist ihre Haltung, eine Mischung aus Respekt, Empathie und Distanz, die es den ehemaligen Kolonie-Bewohnern ermöglicht, das schier Unaussprechliche auszusprechen. Und nicht zuletzt erkennen wir, wie sich die inneren Strukturen mit den äußeren verbinden: In der Kolonie wird für Chiles Militärjunta gefoltert und gemordet.

Diese genau nachgezeichnete Geschichte eines Verbrechens ist ein Lehrstück über das Entstehen totaler Herrschaft. Überzeugend - und damit so erschütternd.

Der Film „Colonia Dignidad“ ist derzeit (Stand: 1.10.2021) hier erhältlich.