Laudatio 2004

Laudatio auf Jo Baier, Sonderpreisträger 2004 von Katharina Trebitsch

Lieber Jo Baier,
wenn man sich die Liste Ihrer Auszeichnungen ansieht ohne genau nachzuzählen, könnte man auf die Idee kommen, dass Sie schon mehr Preise erhalten haben als Filme gemacht. Aber das geht ja gar nicht. Was ich eigentlich damit sagen möchte ist, dass auch im Rahmen Ihrer bisherigen Ehrungen diese ein Novum ist: Sie werden nicht für einen bestimmten Film geehrt, sondern als Jo Baier für die Art und Weise, wie Sie Ihre Arbeit machen. Und da müssen wir dann doch genau werden. Nicht im Sinne von nachzählen, sondern im Sinne von hinhören und hinsehen, weil Sie selbst es sind, der uns mit seinen Filmen zur Genauigkeit verführt.

Zitat: „Biste nicht genau, verlierste Haus und Hof.
Biste zu genau, dann läuft die Kundschaft weg“.

Das sagt im Laden Teil 2 der Großvater zu Esau, seinem Enkel.
Wie schaffen Sie es, unglaublich genau zu sein beim Erzählen Ihrer Geschichten und trotzdem Ihre Kundschaft, nämlich uns, Ihre Zuschauer, nicht zu verlieren? Vielleicht mit einer Ihnen eigenen inneren und äußeren Genauigkeit. Nun könnte man denken, innen Genauigkeit und außen Gefühl. Aber so einfach ist das nicht bei Ihnen. Sie sind nämlich nicht nur Bayer, sondern ein bisschen auch wie die alten Ägypter. Bei denen wohnten Gefühl (Mut) und Verstand an einem Ort, nämlich im Herzen. Erst die Griechen haben die Trennung zwischen Herz für Gefühl, als innen, und Kopf für Verstand also oben bzw. außen, herbeigeführt.

Sieht man nun Ihre Filme, merkt man aber sehr schnell, dass bei Ihnen das Zusammenführen dieser beiden Charakteristika nicht einfach durch das Herunterschlucken des Verstandes geschieht. Im Gegenteil, ich würde behaupten, Sie sind viel klüger als Sie zeigen, und das ist natürlich schon wieder sehr bayerisch. Worin liegt die Klugheit und woher mag sie kommen?

Sie haben viele Jahre sehr erfolgreich mehr als 60 Dokumentarfilme gemacht. Sie haben das Leben betrachtet und reflektiert. Und Sie haben es wohl auch sehr gut verstanden. Wie heißt es doch so schön: wer die Regeln beherrscht, darf mit ihnen spielen. Das heißt in Ihrem Fall ausdrücklich nicht, dass Sie bei der fiktionalen „Zubereitung“ Ihrer Filme Zusammenhänge oder Tatbestände verfälschen. Im Gegenteil, Sie schaffen es, die Wirklichkeit in einen anderen Aggregatzustand zu transferieren und zwar mit dem Mut des Verstandes. Das geht sogar soweit, dass man es am Anfang Ihrer Filme oft richtig schwer hat Ihre Charaktere zu verstehen. Sprechen sie doch einfach die Sprache, die zu ihnen und ihrer Landschaft gehört. Und da beginnt bereits die Verzauberung: statt ärgerlich zu werden, ist man innerlich interessiert. Vielleicht kann man sich mit Ihren Figuren am Anfang des Films nicht fließend unterhalten, aber man versteht sie sehr schnell, weil man sich ihnen nah fühlt. Genau so und so genau, wie sie durch Ihre Schauspielführung werden: klar, durchschaubar und verständlich. Auch wenn sie sich ab und zu wie völlig „von der Rolle“ betragen. Und am Ende Ihrer Filme spricht man auch dieselbe Sprache.

Vielleicht auch, weil die gesellschaftlichen Strukturen Ihrer Filme, seien sie agrarisch, wie z.B. in Schiefweg, Hölleisengretl oder Der Laden, historisch-politisch, wie z.B. bei Stauffenberg oder heutig, wie bei Wambo die Protagonisten immer mit den grundsätzlichen Fragen konfrontieren, die uns auch heute bewegen, nämlich: welche Beziehungen sind verlässlich in gesellschaftlichen Machtverhältnissen und in der Liebe. Zuerst zwischen Eltern und Kindern und danach mit weiteren Menschen in anderen Formen.

In Ihren Filmen geht es hart zu und Ihre Protagonisten erleiden Schicksal und das nicht zu knapp. Aber sie (er)tragen es auch. Eine Fähigkeit, die heute wenig geübt ist in unserer Gesellschaft. Manche Ihrer Charaktere zerbrechen daran, aber in Ihren Filmen gibt es immer einen verlässlichen Hinweis, und wenn er noch so klein ist, darauf, dass es weitergehen wird und sich das Einlassen auf das Leben lohnt. Der Umstand, dass wir Ihnen das glauben, obwohl Ihre Filme auf den ersten Blick nicht gerade Sonnenschein-Wohlfühl-Filme sind, mag eben daran liegen, dass sie genau inszeniert sind. So etwas schafft Vertrauen. Bei Ihnen wird Genauigkeit zum emotionalen Kitt in den Fugen Ihrer Szenen. Und darum verlieren Sie auch keine Kundschaft.

Wenn man sich Ihren Weg ansieht, dann ist der ja nicht gerade kurz. Da haben Sie auch etwas von einem Langstreckenläufer an sich. Ich bin mir sicher, dass Sie wissen, wie Langstreckenläufer sich verhalten, wenn es steil bergauf geht und sehr anstrengend zu werden droht. Sie machen genau das Gegenteil von dem, was alle anderen tun. Die werden nämlich immer schneller und machen immer größere Schritte. Ein Jo Baier aber macht langsamer mehr Schritte auf kleinerem Raum und erklimmt so mit viel Atem die Höhe.

Herzlichen Glückwunsch zum Medienpreis der Evangelischen Kirche.

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Der Sonderpreis der Jury 2004 geht an den Autor und Regisseur Jo Baier