Rede 2004 von Bernd Merz

Pfarrer Bernd Merz, Rundfunkbeauftragter des Rates der EKD und der Vereinigung Evangelischer Freikirchen VEF, Vorsitzender der Jury „Kinderprogramme“

Sehr verehrte Damen und Herrn, vor allem liebe Preisträger,

„Jedes Kind wird mehr durch Auflehnung als durch Gehorsam“, hat der große Kinderfreund Peter Ustinov gesagt. Diesen Mut zur Auflehnung und Selbstbestimmung wollen wir heute unterstützen, mit dem ersten Robert Geisendörfer Preis für Kinderprogramme. Er wurde möglich durch die Stiftung des Ehepaares Mann, dem ich hier noch einmal herzlich danke. Sie, liebes Ehepaar Mann, konnten zu keinem besseren Moment auf uns, die Evangelische Kirche, zukommen. Denn das Kinderfernsehen braucht dringend Unterstützung. Ich sage das, weil wir als Kirche tatsächlich Kinderfernsehen gucken und feststellen: Zwar gibt es ein umfangreiches Angebot für Kinder, aber es muss in mindestens zwei Punkten kritisch unter die Lupe genommen werden:

Wenn man den KEF-Bericht 2003 liest, in dem es um den Finanzbedarf der Rundfunkanstalten geht, entdeckt man, dass der Bereich „Kinder- und Jugendprogramme“ zwar eine ähnliche Anzahl von Erstsendeminuten wie die Bereiche „Reihen und Serien“ und „Film“ zu liefern hat, aber über deutlich weniger Aufwendungen verfügt. Das ist ein Zeichen für eine Vernachlässigung und Gleichgültigkeit gegenüber Kinderprogrammen, die fast überall zu sehen ist.

Als drei Ministerpräsidenten im vergangenen Jahr mal eben so ihre Sparmaßnahmen für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk vorschlugen, empörten sich die erwachsenen Freunde der Kultur über die angedachte Zusammenlegung von arte und 3sat. Der Aufschrei für Kinder über die geplante Verkürzung der KiKa-Sendezeit blieb sehr leise.

Das passt zu einer Grundlinie in unserer Gesellschaft, Kinder mit medienwirksamen Worten positiv zu erwähnen, darüber aber zu vergessen, konsequent für sie zu handeln. Es ist falsch, Sendungen für Kinder immer weiter aus dem Vollprogramm in die Spartenkanäle abzuschieben. Kinder sind keine Sparte, Kinder sind unsere Zukunft. Wenn wir Kinder für die Zukunft erziehen, dann versuchen wir damit auch, sie unter Beachtung ihrer eigenen Freiheit und Würde in die Gesellschaft zu integrieren. Aber zur Erziehung gehört es auch, dem Kind nicht jedes Spielzeug zu kaufen, sondern Maßstäbe vorzugeben, Verhaltensregeln aufzuzeigen, Werte zu vermitteln.

Und diesen qualitativen Maßstab muss auch das Fernsehprogramm für Kinder erfüllen. Das ist mein zweiter Punkt. Es kann nicht reichen, actionbepackte amerikanische Zeichentrickserien abzuspielen, gegen die ich gar nichts habe, solange es auch Sendungen gibt, die Mut machen und helfen, die Neugier vermitteln und eine Mitmenschlichkeit, die ein Superman vom Planeten Krypton nicht vermitteln kann. Dieses Mutmachen, dieses Aufwecken zu einer gesunden Auflehnung kann nicht nur durch preiswerte Informationssendungen gefördert werden. Gerade fiktionale Stoffe sind wichtig, weil sie Lust machen auf die Fantasie, und dabei an einem anderen Leben in besonderer Weise teilnehmen lassen. Deshalb ermuntere ich die Programmverantwortlichen, öffentlich-rechtlich wie privat-rechtlich, den 90-minütigen Kinderfilm nicht zu vernachlässigen und auch Fernsehfilme für die ganze Familie zu attraktiven Zeiten zu präsentieren.

Mein Fazit ist: Auch wenn ich ein Quotenfreund bin: Denkt nicht nur an die Quote. Es ist verheerend, ausschließlich die Gesetze des Marktes auf das Kinderfernsehen anzuwenden. Sie dürfen in diesem Bereich nicht mit ihrer sonstigen Allmacht gelten, weil sonst ein Klima geschaffen wird, in dem Kinder nicht als Kinder, sondern nur als Konsumenten erwünscht sind. Was soll das Gejammere über die demographische Entwicklung, wenn wir die Vernachlässigung der Kinder überall zelebrieren? Und den Senderverantwortlichen nehme ich das Zelebrieren der Aussage „Sachzwänge, knappe Mittel, tut uns leid“ nicht mehr ab, wenn sie als Antwort auf konstruktive Programmvorschläge für ein gutes, menschenfreundliches, hilfreiches und lebendiges Kinderfernsehen kommt. Dahinter steht zu oft Desinteresse und Bequemlichkeit, wo Leidenschaft und Visionen nötig sind. Und schaut mal, für was Ihr alles Geld habt, öffentlich- rechtlich wie privat.

Kinderfernsehen muss eine Investition in unsere gemeinsame Zukunft sein und den Kindern dabei helfen, ihr Leben selbstbestimmend zu gestalten und sich dabei als Teil unserer Gesellschaft zu verstehen. Diesen Anspruch sehe ich gerade vor einem christlichen Hintergrund als absolut verpflichtend an. Denn es gehört für mich zum christlichen Glauben, Kinder wie alle Schwachen in besonderer Weise zu schützen. Und so kommen wir vom kritischen Blick zum hoffnungsvollen Handeln. Mit diesem Preis wollen wir diesen Schutz deutlich einfordern und zeigen, wo und wie er bereits jetzt gelingt. Für mich setzt gerade der Kinderpreis die Maxime von Robert Geisendörfer um, Stimme zu sein für die Sprachlosen.

Diese Stimme hat heute auch einige Gesichter, nämlich die Mitglieder unserer Jury. Das sind Gerda Mann, die Vertreterin der Mann-Stiftung – Medien für Kinder, Heike Mundzeck, Medienfachjournalistin, Dr. Maja Götz, die Leiterin des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen, OKR Jörg-Holger Behrens, Dr. Karl-Heinz Käfer, Drehbuchautor und Regisseur und Tilmann Gangloff, Medienfachjournalist.

Ich danke Ihnen allen ganz herzlich für Ihre Arbeit, denn wir hatten viel zu tun: An dem Wettbewerb hatten sich der BR, NDR, MDR, RBB, SR, SWR, WDR, Kinderkanal, ZDF, 3sat, SuperRTL/Disney Fernsehen und Sat.1 beteiligt. Die Sender hatten 30 Produktionen mit insgesamt circa 15 Stunden Programmzeit eingereicht.

Nach ausführlichen Diskussionen und intensiven Beratungen hat die Jury einstimmig entschieden. Wir kommen zum Votum der Jury, das Ihnen nun ein Jury-Mitglied, Herr Tilmann Gangloff, vortragen wird. Ich möchte zuvor all denen danken, die mit und ohne Preis Kinderfernsehen machen, den Autoren, Produzenten, Redakteurinnen, denn sie machen Kinderprogramm – das war in den Beiträgen deutlich zu sehen – aus Leidenschaft. Und dafür danke ich ihnen.