Rede 2004 von Dr. Ulrich Fischer

Landesbischof Dr. Ulrich Fischer, Vorsitzender der Jury „Allgemeine Programme“

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Frau Böning, verehrte Festversammlung,

nachdem ich im vergangenen Jahr den Vorsitz der Jury für die Verleihung des Geisendörfer Preises übernommen habe, ist es mir eine große Freude, Sie heute zum zweiten Mal zur Preisverleihung begrüßen zu dürfen. Für mich ist diese Preisverleihung eine der wenigen Gelegenheiten, unsere evangelische Kirche in einen Dialog mit einem wichtigen Bereich kultureller Arbeit unserer Gesellschaft zu bringen. Und so wünsche ich mir für diesen Festakt der Preisverleihung vor allem, dass wir in einen solchen Dialog eintreten können. Kirche und Fernsehen, Kirche und Rundfunk, so wenig scheint sie zu verbinden, und doch, was wäre die Kirche ohne die Öffentlichkeit, in die hinein sie ihre Botschaft vermittelt! Von seinen Anfängen her war das Evangelium auf öffentliche Vermittlung angelegt. Darum muss Kirche ein Interesse haben an allem, was öffentliche Meinung bildet und prägt. Muss Kirche ein Interesse an Rundfunk und Fernsehen haben.

Zunächst einmal danke ich dem Sender RTL und Frau Generalsekretärin Haas für die Gastfreundschaft, die Sie uns gewähren, ich danke allen Jurymitgliedern für die geleistete Arbeit, ich begrüße alle Preisträgerinnen und Preisträger – auch ehemalige Preisträger sind unter uns – auf das herzlichste.

Ein Wörterbuch des Rundfunks, das im Jahr 2004 neu herauskäme, hätte im Vergleich zu früheren Zeiten viele neue Begriffe zu berücksichtigen. Galt früher für den Rundfunk das unbestrittene Prinzip, es handele sich bei ihm um eine Einrichtung der „öffentlichen Daseinsvorsorge“, die über eine gleiche Gebühr „von allen für alle“ finanziert werde und damit einen gesellschaftlichen Integrationsauftrag erfülle, so würden heute ganz neue Stichworte breiten Raum einnehmen: „Mediendienstleistungen“, „offene“ und „geschlossene Nutzergruppen“, „Pay per view“ oder „Kindersicherung“. Im Zuge der Kommerzialisierung und Ökonomisierung des gesellschaftlichen Lebens hat sich der öffentliche Diskurs von früheren Grundauffassungen entfernt. „Ich will nur für das zahlen, was ich auch kaufen will“ ist die weit verbreitete Ansicht vor allem jüngerer Konsumentinnen und Konsumenten. Und das führt dann dazu, dass Aufwendungen für kulturell wertvolle Zwecke überwiegend nach dem damit erreich- und messbaren Publikumserfolg, oder auf neudeutsch: nach ihrem „Event value“, bewertet werden.
Beim Rundfunk wird das mit „Quotendenken“ bezeichnet. Dabei gibt es einen wichtigen Rechtfertigungsgrund. Niemand, der etwas zu sagen hat, tut das gerne in einem leeren Saal. Auch Pfarrerinnen und Pfarrer predigen nicht gern vor leeren Kirchenbänken. Publikum gehört schon dazu, wenn jemand eine Botschaft an den Mann oder die Frau bringen möchte. Nur: wie viele und welche Zuhörer, Zuschauerinnen darf er, darf sie sich wünschen? Hier stehen wir vor einer interessanten Unterscheidung. Wer kommerziell denken muss, weil er von Werbeeinnahmen lebt, dem ist es erlaubt, sein Publikum nach der Zielvorstellung anzupeilen: Mit welchen Themen, mit welchen Formaten, mit welchen Protagonisten erreiche ich solche Zuschauer-Zielgruppen, die mir am meisten Werbeeinnahmen versprechen? Das ist völlig legitim für alle Fernsehprogramme, die auf eine Finanzierung aus Werbung angewiesen sind. Kein privater Veranstalter hat es mehr nötig, sich dafür zu rechtfertigen, dass sein Programmangebot in erster Linie von der breiten Akzeptanz durch das Publikum bestimmt wird. Weil das so ist, widerspräche es aber dem Prinzip des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, solche Zuschauergruppen zu vernachlässigen oder auszusparen, die aus den verschiedensten Gründen als Werbezielgruppen uninteressant erscheinen: zu alt, zu wenig konsumorientiert, nicht kaufkräftig genug und so weiter. Hier muss sehr genau unterschieden werden zwischen zwei Motiven. Auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk kann nicht ohne Publikumserfolg auskommen. Er braucht diesen Erfolg zu seiner Legitimation. Aber er braucht ihn nicht im Blick auf spezifische Werbezielgruppen, auf bestimmte Publikums-Segmente, zu deren Gewinnung er mit den privat-kommerziellen Programmen in Konkurrenz treten müsste.

Manchmal erscheint es mir so, als sei unter den Programmverantwortlichen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks beim Entwickeln und Verwirklichen ihrer Programmstrategien dieser Grundsatz in Vergessenheit geraten. Dabei ist es für sie überlebenswichtig, den Nachweis zu erbringen, dass ihre Programme eben nicht denselben Maximen der Zielgruppenbedienung folgen, denen ihre privat-kommerziellen Wettbewerber zu gehorchen haben. Viel zu wenig, so erscheint es mir, machen die öffentlich-rechtlichen Programme von der Freiheit Gebrauch, die ihnen durch eine im Wesentlichen gesicherte Gebührenfinanzierung geboten wird. Viel zu oft treten sie in einen Wettbewerb ein, der ihre Programme nur wenig von denen der privaten Konkurrenz unterscheidet. Das führt während der hart umkämpften prime time zu einer Konvergenz, welche die auch rechtlich zwingend gebotene Vielfalt der Programme nivelliert.

Rechtsgrundlage unserer Rundfunkordnung ist, dass die sehr weitgehende Programmfreiheit der privat-kommerziellen Veranstalter, das zu tun, was ihnen wirtschaftlich vielversprechend erscheint und das zu unterlassen, was zu Verlustgeschäften führen könnte, davon abhängt, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk verpflichtet ist, seinerseits eine umfassende Grundversorgung anzubieten. Darunter ist zu verstehen, dass in den öffentlich-rechtlichen Sendungen ein möglichst breites Angebot von Information und Unterhaltung für alle geboten werden muss. Und möglichst breit, also nicht nur begrenzt auf anspruchsvolle Informations- und Kultursendungen, Fernsehspiele und Bildungsprogramme, sondern auch unter Einbeziehung von Show und Comedy, von Quiz und Sport, von Spielfilmen und Familienserien.

Indem ich diese Kategorien hier als Bestandteile auch der öffentlich-rechtlichen Fernsehprogramme aufzähle, könnten Sie sich fragen, ob darin nicht ein Widerspuch zu meinem Plädoyer gegen eine nicht wünschenswerte Konvergenz der beiden Programmtypen zu sehen ist. Ich sehe das nicht so. Vielmehr erhoffe ich mir eine von mehr Verantwortung gegenüber anspruchsvolleren Themen und Formen gekennzeichnete Programmpolitik der öffentlich-rechtlichen Anstalten. Mehr Vertrauen in die eigene kulturelle Kompetenz, mehr Zutrauen zum Unterscheidungsvermögen des Publikums, mehr Mut zu gewagten Sendezeit-Entscheidungen! Ich entdecke diesen Mut übrigens auch bei manchen privaten Sendern: Fernsehspiele, Dokumentationen, Reportagen, wie wir sie schon mehrfach mit dem Robert Geisendörfer Preis auszeichnen konnten.

Sie werden sich nicht wundern können, ein solches Plädoyer eines qualitativen Rundfunkangebots für alle Menschen aus dem Munde eines Kirchenmannes zu hören. Denn solch einem Plädoyer entspricht die Ausrichtung kirchlicher Arbeit, nämlich mitzugestalten an einem gesellschaftlichen Leben, das möglichst vielen Menschen Partizipation ermöglicht. Und mitzuwirken an der Gestaltung eines gesellschaftlichen Lebens, das von Werthaltungen geprägt ist, die für alle verbindlich und tragend sind.
Welche Sendungen und Personen unter dieser Perspektive in diesem Jahr für die Auszeichnung mit dem Robert Geisendörfer Preis der Evangelischen Kirche ausgewählt wurden und wie wir diese Auszeichnung begründen, das werden Sie nach den Beiträgen von Frau Mundzeck und Herrn Merz hören.