Rede 2004 von Ingrid M. Haas

Sehr geehrter Herr Landesbischof Fischer, meine sehr geehrten Damen und Herren,

herzlich willkommen an diesem wunderbaren Sommertag. Nun ja, seien wir realistisch: Für das Jahr 2004 ist dies ein wunderbarer Sommertag – wir haben über 20 Grad und es regnet nicht! Es ist uns – RTL – eine besondere Ehre, dieses Jahr der Gastgeber der Verleihung des Robert Geisendörfer Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche zu sein. Evangelische Kirche? Und RTL? Und dann gar als Gastgeber? Ist das nicht eine etwas befremdliche Kombination? Nun ja, ich spreche hier zu „Eingeweihten“, zu Ihnen, die sich mit Medien beschäftigen und die sicher auch wirklich fernsehen, anstatt lediglich darüber zu sprechen. Und die wissen, dass RTL nicht mehr das ist, was es am Anfang war.

RTL in der Anfangszeit: Aufmerksamkeit um fast jeden Preis. Alle Bedenken, die es bei der Einführung des Privatfernsehens vor 20 Jahren gab, alle Befürchtungen schienen sich mit dem, was wir und die anderen auf den Schirm brachten, zu bewahrheiten. Erschreckend anders, statt erfrischend anders fanden uns damals viele – und das waren wir auch. Wir mussten es sein – denn Aufmerksamkeit ist die Währung im Fernsehgeschäft. Das gilt für die Privaten ebenso sehr wir für die öffentlich-rechtlichen Sender.

Aufmerksamkeit konnten wir damals aber nur erreichen, wenn wir anders waren, als das, was der deutsche Zuschauer gewohnt war. Mit unseren eher begrenzten finanziellen Mittel der Anfangszeit konnten wir ARD und ZDF auch in den sogenannten „Qualitätsprogrammen“ keine Konkurrenz machen. Wir wären nur eine schlechte Kopie gewesen. Wir haben uns damals dafür entschieden, ein besseres Original zu sein.

Und ich meine, genau das hat die deutsche Fernsehlandschaft entscheidend vorangebracht. Vergleichen Sie das deutsche Fernsehen mit dem in anderen europäischen Ländern! Das deutsche Fernsehen ist allen Unkenrufen zum Trotz besser als sehr vieles, was man im Ausland zu sehen bekommt. Denken Sie allein an die große Menge eigenproduzierter Formate. Denken Sie an Magazine! Denken Sie an Nachrichtensendungen! Und nicht zuletzt an Fiction: Deutsche Fiction prägt heute weite Teile der Programme. Wir sind nicht amerikanisiert worden. Und wir haben auch nicht, um es sehr pauschal zu fassen, den Untergang des Abendlandes herbeigeführt! Hätten Sie jemals erwartet, dass auf einem deutschen kommerziellen Sender eine Show wie der „Große Deutschtest“ laufen könnte? Acht Millionen Zuschauer lauschten andächtig der tiefen Stille während des Diktates.
Das sind im übrigen die selben Zuschauer, die mit uns auch in den Dschungel gegangen sind. Und die sich blendend amüsiert haben. Ich will Sie beileibe nicht bekehren, was dieses Format angeht. Und ich erwarte auch nicht, dass „Ich bin ein Star, holt mich hier raus!“ gleich einer der Preisträger sein wird. Ich will nur Ihr Augenmerk darauf richten, dass das Programm so bunt und vielfältig ist wie das Leben. Auch das besteht weder ausschließlich aus "Gaudi" noch rein aus Ernsthaftigkeit und Besinnung.
Sicher hat sich die Gesellschaft in den vergangenen 20 Jahren nachhaltig verändert. Und wir privaten Anbieter waren mit Sicherheit daran beteiligt. Medien und Gesellschaft stehen in einer Wechselbeziehung. Weder vollziehen wir nur nach, was sich in der Gesellschaft tut. Noch initiieren wir jede gesellschaftliche Veränderung. Dafür tragen wir Verantwortung. Und es ist mehr als eine Floskel, wenn ich sage, dass wir uns dieser Verantwortung bewusst sind. Wir tun intern vieles dafür. Wir tun extern vieles dafür – denken Sie nur an die freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen. Und wir suchen das Gespräch. Wir machen kein Programm im luftleeren Raum. Wir befinden uns in einem stetigen und fruchtbaren Dialog mit Vertretern aller Gesellschaftsgruppen – auch und gerade mit Vertretern der Kirchen. Das heißt nicht, dass wir immer einer Meinung sind. Dass wir nur Programme machen, die Ihnen gefallen und an denen Sie keine Kritik zu üben haben. Das heißt auch nicht, dass wir alle Ihre Bedenken immer programmlich umsetzen. Aber das muss ja auch gar nicht sein.

Ich schätze das Wort „Streitkultur“. Denn es sagt sehr viel darüber aus, wie diskutiert werden sollte - streitig, kontrovers – aber eben kultiviert. Und was heißt kultiviert in diesem Zusammenhang anderes, als das man die Argumente wägt und ernst nimmt und nicht mit „Totschlagargumenten“ operiert. Das tun wir in Deutschland übrigens viel zu wenig. Wir neigen zu Dogmatismus – auf allen Seiten. Wir neigen in der Regel auch nicht dazu, das Unkonventionelle hoch zu schätzen. Das sollten wir lernen. Unkonventionalität ist ein guter Weg aus Stillstand und Beharrung.

Ich freue mich auf die Fortführung des Dialogs mit Ihnen. Aber zunächst einmal freue ich mich auf die Preisverleihung und bin sehr gespannt auf die Gewinner des heutigen Tages. Meine Damen und Herren: Im Namen von RTL wünsche ich Ihnen allen einen spannenden und anregenden Vormittag.