Tod in Gibraltar

Autor und Regisseur Joakim Demmer. ZDF/3sat 2003 (Filmredaktion 3sat, Produktion: Dschoint Ventschr und DFFB)

Begründung der Jury

Vor weit über einem Jahrzehnt, es waren diese Zeiten, als das öffentlich-rechtliche Fernsehen sich noch bei der öffentlich-rechtlichen Ehre packen lies, gab es die „Aktion eine Welt“. Die Zuschauer waren eingeladen, über die tiefen Risse in dieser zusammenwachsenden Welt zwischen den Kulturen und den Lebensstandards nachzudenken. Damals entstand ein Film, eine Art Global-Sciencefiction mit dem Titel: Der Marsch. Er entwickelte die Vision, dass sich der schwarze Kontinent aufmacht, um nach Europa zu kommen.

Tod in Gibraltar zeigt, dass diese Vision Wirklichkeit geworden ist – in langsamer Brutalität. Er ist sozusagen der Alptraum zum Traum der blühenden Landschaften in Europa. Tod in Gibraltar ist ein europäischer Film: produziert von Deutschen – 3sat und ZDF. Buch und Regie stammen aus Schweden.

Ort der Handlung sind die weißen Strände von Gibraltar, wo sich die Sonnenhungrigen in der spanischen Sonne tummeln, wo die Wassersportler durch die Wellen pflügen und die Sonne lacht – und nachts grinst der Tod. Da werden Leichen, Erschöpfte, Halbverhungerte, vor Angst und Schrecken halb wahnsinnige Menschen an den Strand gespült. Sie haben sich in Marokko auf den kurzen Weg gemacht. Sie haben ein wackliges Schiff bestiegen, um in ein neues Leben zu fahren. Wenn sie der Küstenwache entkommen, wartet auf der anderen Seite die Polizei. Die Hälfte der Menschen ertrinkt auf dem Weg. Die anderen werden zurücktransportiert. Selten fahndet einer nach den Toten, wenn ja, kehren sie in Särgen zurück.

Joakim Demmer und Brenda Osterwalter haben einen schier unerträglichen Film gemacht. Kommentarlos werden Menschen portraitiert, die mit zugleich abgründiger und ratloser Trauer an diesem Abschiebungsprozess beteiligt sind: Männer vom Roten Kreuz, von der Guardia Civil, Bestatter, Campingplatzbesitzer, ein Journalist. Sie alle sind Zeugen dieser unaufhörlichen nächtlichen Welle von schwarzen Menschen.

Die Kamera beobachtet, tastet den Horizont ab wie ein Suchfernrohr, lässt nicht ab von den ameisengleichen schwarzen Figuren, die aus einem Boot ins Wasser quellen und mit dem Näherkommen zeichnen sich menschliche Züge ab. Die Kamera bleibt – beinahe schamlos – in Großaufnahme auf dem Gesicht eines Flüchtlings, der am Strand zitternd zusammengebrochen ist. Der Film ist ein Zeitdokument über die Nachtseiten unseres Wohlstands. Es gibt keine Antworten und keine Ratschläge. Die Nachtseite des Sonnenstrands wird grell beleuchtet: Und es bleibt die Frage: Eine Welt? Was ist das?