Rede 2010 von Sigmund Gottlieb

„Journalistische Pflicht“. Grußwort von BR-Chefredakteur Sigmund Gottlieb

Ursula Böning-Geisendörfer, Siegmund Gottlieb, BR

Andreas Heddergott

Ursula Böning-Geisendörfer, Siegmund Gottlieb, BR

Die diesjährige Preisverleihung steht unter einem besonderen Vorzeichen: Robert Geisendörfer, dieser Pionier der evangelischen Publizistik, wäre heuer 100 Jahre alt geworden. Dass der nach ihm benannte Medienpreis in diesem Jahr bereits zum 27. Mal verliehen wird, dokumentiert eindrucksvoll, wie intensiv, engagiert und erfolgreich in Hörfunk und Fernsehen um publizistische Qualität gerungen wird.

Während der vergangenen zwei bis drei Jahre hat sich zwischen den Kirchen und den Medien in Deutschland themenbedingt eine enge Verbindung entwickelt. Ich möchte in diesem Zusammenhang von „Distanz-Nähe“ oder „Nähe-Distanz“ sprechen. Hervorgerufen durch aktuelle Geschehnisse erhielten die katholische wie die evangelische Kirche über Wochen und Monate ein Maß an publizistischer Aufmerksamkeit, wie wir das sonst nur aus der Politik, vom Sport oder aus der Unterhaltungsbranche kennen. Die aktuellen kirchlichen Themen waren dabei nicht nur positiv geprägt. Ich erinnere an die Ereignisse im Zusammenhang mit der Piusbruderschaft im Jahr 2009. Anfang 2010 stand die damalige EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann im Fokus der Medien, und gleichzeitig begann die schwierige Diskussion um die Missbrauchsfälle in der Kirche.

Ich will diese sogenannten „Skandal-Themen“ nicht vertiefen, sondern stelle fest, dass es journalistische Pflicht ist, sich auch mit negativen Entwicklungen in den Kirchen zu beschäftigen, sie sorgfältig zu beobachten, einzuordnen und zu kommentieren. Das alles ist Teil der aktuellen Berichterstattung. Manchmal kreist diese – sehr zum Ärger der unmittelbar Betroffenen – über Wochen und Monate um ein- und denselben Themenkomplex, weil immer wieder neue Einzelheiten aufgedeckt werden. Reflexhaft wird dann von „Medienkampagnen“ gesprochen, die Journalisten gegen die Kirchen oder einzelne Vertreter der Kirchen führten, gerade so, als stünden sich hier feindliche Lager gegenüber.

Ich halte diesen Vorwurf für falsch, verstehe aber, dass es Kirchenvertreter schmerzen muss, wenn die Organisation, für die sie verantwortlich sind, nicht mehr aus den Schlagzeilen herauskommt. Selbstkritisch an unsere Adresse gerichtet meine ich, dass wir Medienmenschen uns in vielen Fällen schneller aus der „Skandalisierungsspirale“ befreien und auch die Lösung des Problems mit angemessener, größerer Aufmerksamkeit verfolgen müssen.  
Unser öffentlich-rechtlicher Auftrag erschöpft sich jedoch keineswegs in der tagesaktuellen und in der kirchenpolitischen Berichterstattung. Genauso sind wir dem Thema „Bildung“ verpflichtet. Bildung schließt Religiosität und Religionen ein. Religiosität ist also ein wesentlicher Bestandteil öffentlich-rechtlicher Publizistik. Deshalb gibt es in so gut wie allen ARD-Anstalten – in Hörfunk wie in Fernsehen – Fachredaktionen für den Bereich Religion und Kirche. Diese „Kompetenz mit Seele“ ist nicht hoch genug einzuschätzen! 

Auch bin ich davon überzeugt, dass sich die „Säkularisierungsthese“ nicht bewahrheitet hat, wonach die Religion mit Aufklärung und Industrialisierung notwendigerweise verschwinden werde. Weltweit wachsen die Religionsgemeinschaften, vor allem in Asien und Afrika, aber auch in Europa. In Hörfunk und Fernsehen ist diese Entwicklung massiv zu spüren. Unsere vielfältigen Programmangebote für Religion, Theologie, Philosophie und Weltanschauung finden immer größere Resonanz.

Es drängt mich, noch ein Wort zum Namensgeber dieses Preises zu sagen. Das Denken und Handeln dieses großartigen evangelischen Publizisten, der ja eigentlich ein Medienpolitiker war, wurde durch eine herausragende Besonderheit bestimmt, die Norbert Schneider so gut beschrieben hat. Geisendörfer hatte eine tiefsitzende Abneigung gegen Abhängigkeiten aller Art, berufliche wie private. Was umgekehrt heißt: Er hatte ein ausgeprägtes Interesse an Freiheit. Geisendörfer wollte „seine Freiheit“ haben – und die Freiheit der anderen nicht weniger. Auch Geisendörfers Umgang mit Mitarbeitern war davon bestimmt, ihnen möglichst viel Freiheit zu lassen. Er glaubte, dass er dann am meisten von ihnen haben konnte. Er wollte Menschen nie zu etwas zwingen, schon gar nicht zu ihrem Glück.

Es ist dem Bayerischen Rundfunk eine große Ehre, Gastgeber des Medienpreises der Evangelischen Kirche in Deutschland zu sein. Ich wünsche Ihnen eine spannende Preisverleihung im Geiste der Freiheit, die Geisendörfer meinte.