Bericht Allgemeine Programme 2018

Aus der Geisendörfer-Jury Allgemeine Programme / Von Diemut Roether

Das Leben danach

WDR/Alexander Fischerkoesen

"Der zweite Geisendörfer Preis in der Rubrik Fernsehen ging an den Fernsehfilm „Das Leben danach“ (ARD/WDR), der sich sieben Jahre nach dem schrecklichen Unglück bei der Loveparade in Duisburg mit den Folgen für die Überlebenden und für die Stadt befasst. V.l. Regisseurin Nicole Weegmann und die Schauspieler Martin Brambach, Christina Große, Jella Haase und Carlo Llubek."

Seit 1983 würdigt die Evangelische Kirche mit ihrem Medienpreis herausragende Leistungen deutscher Hörfunk- und Fernsehsender. Mit dem Robert Geisendörfer Preis sollen laut Statut „Sendungen gewürdigt werden, die das persönliche und soziale Verantwortungsbewusstsein stärken, die zur gegenseitigen Achtung der Geschlechter und zum guten Miteinander von Einzelnen, Gruppen und Völkern beitragen, die die christliche Orientierung vertiefen und einen Beitrag zur Überwindung von Gewalt leisten“. Die Jury Allgemeine Programme tagte am 2. und 3. Mai unter dem Vorsitz des Kirchenpräsidenten von Hessen-Nassau, Volker Jung, in Mainz. Sie vergab insgesamt vier Preise und den Sonderpreis.

Flucht und Vertreibung, Erzählungen von der Suche nach Heimat und der Sehnsucht nach Integration gehören seit einigen Jahren zu den Themen, die die Radio- und Fernsehredaktionen stark beschäftigen. Auch die Geisendörfer-Jury findet solche Beiträgen daher alle Jahre wieder bei den Einreichungen für den Medienpreis der Evangelischen Kirche. In diesem Jahr beschäftigten sich zwei Hörfunk-Einreichungen, die in die engere Wahl kamen, mit diesem Thema.

In dem Feature „Haltet durch, ich hol Euch nach!“, das bei SWR2 gesendet wurde, berichtet Nadja Odeh von dem syrischen Flüchtling Mohamed, einem Familienvater, dem es nach zwei Jahren endlich gelungen ist, seine Frau und seine vier Kinder nach Deutschland nachzuholen. Odeh hat Mohameds Bemühungen, seinen Kampf mit der deutschen und internationalen Bürokratie, seine Verhandlungen mit Schleppern über mehrere Monate begleitet.

Textnachrichten und Video-Chats

Da die syrischen Behörden die Familie nicht ausreisen lassen wollen, muss Mohamed seine Frau und die vier Kinder mithilfe von Schleppern in die Türkei lotsen. Erst dort können sie ein Flugzeug besteigen, um nach Deutschland zu fliegen. Mittels Textnachrichten und Video-Chats hält der Vater Kontakt zu seiner Familie, gibt ihnen Anweisungen, was sie tun sollen. Die O-Töne aus diesen Chats, die Odeh in ihr Feature einbaut, geben dem Stück eine starke emotionale Wucht. Einmal mehr wird deutlich, wie schwierig es für Bürgerkriegsflüchtlinge ist, nach Deutschland zu gelangen und ihre Familienangehörigen nachzuholen.

Noch stärker war nach Meinung der Jury jedoch das zweite Stück zum Thema Flucht, das Hörspiel „Die Umsiedler“ (NDR/WDR) nach einem Text von Arno Schmidt. Der Autor, selbst ein Umsiedler, veröffentlichte diesen Kurzroman 1953. Er erzählt darin vom prekären Leben der Heimatlosen, von hoffnungslos überfüllten Zügen und Unterkünften in Deutschland, von den heruntergekommenen Wohnungen, in denen die Vertriebenen und Flüchtlinge untergebracht wurden. Anna Pein hat den Text von Schmidt bearbeitet, Oliver Sturm hat das Stück für den NDR inszeniert.

Arno Schmidt mit seinem Zettelkasten.

Der manchmal fast expressionistische Text von Schmidt, der die Zustände recht drastisch schildert, wird ergänzt mit Dokumenten aus der Zeit: Schreiben an den niedersächsischen Flüchtlingsminister Heinrich Albertz, Zeitungsartikeln und erschütternden O-Tönen von Kindern, die ihre Eltern suchen. Das Hörspiel ruft in Erinnerung, dass es in Deutschland vor 70 Jahren mehr als zwölf Millionen Flüchtlinge gab und viel zu wenige Wohnungen für alle. Hinzu kamen Ausgebombte, Evakuierte und sogenannte Displaced Persons, die heimatlos umherirrten.

Historisch betrachtet hat die damalige Situation nicht viel gemein mit der heutigen Flüchtlingsthematik, aber der Grundkonflikt der Integration des „Fremden“ in die vertraute „heimatliche Kultur“ lädt zur Analogiebildung ein und verleiht dem Thema Flucht eine tiefere historische Dimension, die die Jury überzeugte. Das Hörspiel lässt die Vorbehalte der Einheimischen gegen die Neuen, die von weit her kamen und ein ungewohntes, fremdes Deutsch sprachen, wieder lebendig werden. Die sehr bildhafte Sprache Schmidts bildet einen perfekten Kontrast zu den Reden und amtlichen Texten der damaligen Zeit.

In Sturms sorgfältiger, kluger Inszenierung werden die so unterschiedlichen Textsorten zu einer großen, eindrücklichen Erzählung von Flucht, Vertreibung und der Suche nach Heimat. So bringt „Die Umsiedler“ den Hörern die Geschichte, die gerade mal 70 Jahre zurückliegt, nahe. Es wird klar, dass die Aufgaben, vor denen wir Heutigen stehen, nicht annähernd zu vergleichen sind mit denen, die damals zu bewältigen waren. Oliver Sturm berichtete bei der Preisverleihung von den Schlesiern, Siebenbürgen und Ostpreußen, die für die Aufnahme ins Studio gekommen waren, um den Schauspielern ihre Sprachfärbungen beizubringen. Durch die Arbeit an dem Stück sei ihm klar geworden, dass es „Fremdenfeindlichkeit auch ohne Ausländer“ gibt, sagte er.

Der zweite Hörfunkpreis ging ebenfalls an ein Hörspiel, diesmal an eines, das sich mit der bundesrepublikanischen Geschichte der 60er Jahre beschäftigt. Karlheinz Koinegg erzählt in „Lauter liebe Worte“ (WDR) die Geschichte seines Vaters, eines Stahlarbeiters, der offenbar schizophren war, mehrfach in die Psychiatrie eingeliefert wurde und sich schließlich das Leben nahm. Sohn Karlheinz war damals neun Jahre alt, er fand den toten Vater in seinem Kinderbett.

Jahrzehnte später befragt Koinegg seine Onkel und Tanten, seine Mutter und seinen Bruder nach dem Vater. Auch ein ehemaliger Pfleger der Klinik, in der sein Vater einige Zeit verbrachte, steht ihm Rede und Antwort. Der Autor findet viel Ratlosigkeit angesichts der Krankheit, die sein Vater hatte. Schizophrenie war damals noch recht wenig erforscht. Für die Familie war diese Geschichte viele Jahre ein Tabu, über das kaum gesprochen wurde. Umso bemerkenswerter ist es, dass es dem Autor schließlich doch gelang, auch seine Mutter zum Reden zu bringen.

Plädoyer für eine offene Gesellschaft

Besonders beeindruckt zeigte sich die Jury von der liebevollen Milieuzeichnung. Aus den Erzählungen der Verwandten und Freunde entsteht das Bild einer typischen Ruhrgebietssiedlung der 60er Jahre. Der Vater, ein Mann, der gerne und viel las, erscheint als einer, der mit dem Leben, das er führen musste, nicht zurechtkam. Regisseur Martin Zylka hat diese sehr persönliche und intime Familiengeschichte sehr zurückhaltend inszeniert, hin und wieder erklingt ein Akkordeon, eine Reminiszenz an den Vater, der dieses Instrument spielte. Entstanden ist ein Stück, das über das Schicksal eines Einzelnen hinausweist, weil es sich auch als leidenschaftliches Plädoyer für eine offene Gesellschaft mit Aufstiegs- und Bildungschancen für alle hören lässt.

Ebenfalls in der engeren Auswahl war „Dazwischen“ von Karla Krause. Für das Feature, das bei Deutschlandfunk Kultur gesendet wurde, sprach die mehrfach ausgezeichnete Autorin mit Zwittern über ihren Kampf um Anerkennung als zweigeschlechtliche Wesen. Sie hält mit ihrer eigenen Verunsicherung nicht hinter dem Berg: Wie soll sie über Sandrao sprechen, die/der beides ist: Sie und Er zugleich. Das Leben ihrer Gesprächspartner ist geprägt von dem Gefühl, „nicht in Ordnung zu sein“. Sandrao sagt über sich: „Ich bin ein absolutes Monster.“

Mit diesen O-Tönen und ihrem sehr reflektierten Erzählstil gelingt es Krause, sich dem schwierigen Thema zu nähern, ohne in Vereinfachungen abzurutschen. Bis heute werde Eltern von intersexuellen Kindern zu einer geschlechtsangleichenden Operation geraten, erzählt sie.

Auch Rainer Schildberger beschäftigte sich in dem NDR-Feature „Ich laufe durch den dunklen Raum und jubele“ mit einem ungewöhnlichen Thema: Blindenfußball. Erst seit 2008 gibt es in Deutschland eine Bundesliga für Blindenfußball. In Schildbergers Reportage stehen die Blinden im Mittelpunkt. Das Spielgeschehen wird aus ihrem Erleben geschildert. An der Art, wie sie über sich und bevorstehende Begegnungen reden - „Ich bin ein schnell entschlossener Spielertyp“ - merkt man, wie viel Selbstbewusstsein sie aus dem Sport ziehen. Auch dies ein überzeugendes Feature, das bei einer weniger starken Konkurrenz durchaus preiswürdig gewesen wäre.

Totalitäre Strukturen

Für ihr WDR-Hörspiel „Sie sprechen mit der Stasi“ sind die Autoren Andreas Ammer und FM Einheit tief in die Archive der Staatssicherheit der DDR eingestiegen. Aus den Mitschnitten von Verhören und Telefonanrufen beim Ministerium für Staatssicherheit stellten sie Dokumente des Denunziantentums und der Einschüchterung zusammen, bringen aber auch Versuche, die Überwacher zu narren oder Widerstand zu leisten zu Gehör. In der Wiederholung der immer gleichen Formeln, mit denen die Mitarbeiter der Behörden die Anrufer ansprechen, in den denunziatorischen Äußerungen und auch in den Fragen während der Verhöre werden die rhetorischen Strukturen des Totalitarismus deutlich. Die Musik von FM Einheit unterbricht diese Kommunikation, übertönt sie auch manchmal.

Einigen Juroren war dieser künstlerische Umgang mit den Dokumenten der Unterdrückung und Bespitzelung zu spielerisch und verharmlosend. Eindrucksvoll ist das Hörspiel allemal, weil es auch viel darüber erzählt, welche Verheerungen ein solcher Überwachungsapparat in den Menschen anrichtet, die versuchen, sich mit ihm zu arrangieren.

Wie in früheren Jahren waren auch diesmal deutlich mehr Fernsehstücke in der engeren Auswahl als Radiobeiträge. Die Bandbreite der Themen reichte von der Pflege über die jüngere BRD-Geschichte bis hin zu Korruption im Handel mit Giftmüll in Europa. Einiges davon war eher gut gemeint als gut gemacht wie zum Beispiel das Porträt von Charlotte Knobloch, der Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde in München, „Charlotte Knobloch - ein Leben in Deutschland“ (BR). Wie diese Frau, die als Mädchen unter den Nazis nur dank der ehemaligen Hausangestellten ihres Onkels überlebte, die sie als ihr eigenes uneheliches Kind ausgab, in Deutschland bis heute nach Geborgenheit sucht, hätte ein eindrucksvoller Film werden können, wenn sich die Autorin nicht viel zu lange mit Äußerlichkeiten wie der Biografie von Knoblochs Vater aufgehalten hätte.

Formal und auch inhaltlich sehr interessant war das Porträt des jungen Kriegsveteranen Joe Boots in der 3sat-Reihe „Ab 18!“. Boots erzählt davon, wie er nach der Rückkehr aus dem Irak mit seiner posttraumatischen Belastungsstörung allein gelassen wurde: „Wie sollst Du darüber reden, wenn Du nach Hause kommst und keiner Deiner Freunde hat das Gleiche erlebt?“ Der Protagonist findet treffende Sätze, um seine Situation zu beschreiben: „Wir sind immer noch Krieger auf dem Schlachtfeld in unserem Kopf.“

Pflege als Geschäft

Mit dem Pflegenotstand beschäftigten sich gleich zwei der Stücke in der engeren Auswahl. In „Der Pflegeaufstand“ (MDR/Arte) nahm Ariane Rieker die Klage mehrerer Anwälte, die dem Staat systemisches Versagen in der Pflege vorwerfen, zum Anlass, das Pflegesystem genauer zu beleuchten. Dass Pflege zu einem lukrativen Geschäft geworden ist, mit dem private Konzerne viel Geld verdienen, indem sie das wenige Personal unter enormen Zeitdruck setzen, ist nur einer der irrwitzigen Aspekte des Systems.

Welche Folgen dieser Zeitdruck für Pfleger und Alte haben kann, zeigte sehr eindrücklich der Münchner „Polizeiruf 110: Nachtdienst“ (ARD/BR), in dem Matthias Brandt als Kommissar Hanns von Meuffels versucht, einen Mord in einem Pflegeheim aufzuklären. Hier störten sich einige Juroren an dem gewaltsamen Ende des Films, in dem ein Alter mehr als 20 Heimbewohner tötet, um auf die haarsträubenden Zustände in der Pflege aufmerksam zu machen.

Weniger brisant, aber in der Jury dennoch umstritten war „Die wunderbare Welt der Kinder“, eine von Vox eingereichte Produktion. Für die Dokumentation wurden vierjährige Kinder an mehreren Wochenenden von Entwicklungspsychologen mit zahlreichen Kameras beobachtet. Zu sehen ist, wie die Kinder sich kennenlernen und wie sich die Rollen in der Gruppe herausbilden. Betreut werden sie von Erzieherinnen, die den Kindern Aufgaben stellen. Schön zu beobachten ist, wie unterschiedlich die Kinder mit Aufgaben, die ihnen gestellt werden, umgehen.

Einig war sich die Jury darüber, dass die Kinder ganz wunderbare Protagonisten sind und dass es faszinierend ist zu sehen, wie früh sich Charaktere herausbilden. Einige lehnten die Vorführsituation, in der sich die Kinder befinden, jedoch heftig ab. Die Vierjährigen wissen zwar, dass da Kameras sind, aber sie vergessen sie auch schnell wieder und fühlen sich unbeobachtet, wenn keine Erwachsenen im Raum sind.

Zwei sehr unterschiedliche Beiträge setzten sich mit dem Thema Gerechtigkeit auseinander. In dem Film „Eine unerhörte Frau“ (ZDF) erzählen Regisseur Hans Steinbichler und die Autoren Angelika Schwarzhuber und Christian Lex vom Kampf einer Bäuerin um das Leben ihrer kleinen Tochter und darum, von den Ärzten ernstgenommen zu werden. Diese tun die heftigen Kopfschmerzen des Mädchens und auch ihre Übelkeit zunächst als Wachstumsprobleme ab, später heißt es, das Kind sei magersüchtig. Rosalie Thomass spielt die Mutter, die sich Medizinratgeber kauft, um herauszu-finden, was ihrer Tochter fehlen könnte. Viel zu spät gelingt es der kämpferischen Bäuerin, das Kind von einem Internisten untersuchen zu lassen, der einen Hirntumor diagnostiziert. Dieser ist jedoch schon so groß, dass nur ein Spezialist aus den USA den Eingriff wagt.

Schuss in viele Köpfe

Der spannend inszenierte Film, der auf wahren Begebenheiten beruht, erzählt auch davon, wie die Mutter, nachdem ihr Kind buchstäblich im letzten Moment gerettet werden konnte, vor Gericht geht, um die Ärzte, die sie immer wieder heimgeschickt haben, zur Verantwortung zu ziehen. Am Ende kommt es zu einem Vergleich mit dem Staat Bayern, der die Klinik betreibt. Vor allem Rosalie Thomass beeindruckt in dem Film als Frau mit fast Kohlhaasscher Courage, die den Kampf mit den Göttern in Weiß aufnimmt, die sich für unfehlbar halten.

Der Tod des Studenten Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967 in Berlin gehört zu den Ereignissen, die sich tief in die deutsche Zeitgeschichte und das kollektive Gedächtnis eingegraben haben. Der Schuss, mit dem der Polizist Karl-Heinz Kurras den Studenten tötete, wurde später als „Schuss in viele Köpfe“ bezeichnet, galt er doch als Initialzündung für die Studentenbewegung von 1968. In der Dokumentation „Wie starb Benno Ohnesorg?“ (ARD/RBB) dröseln Klaus Gietinger, Margot Overath und Uwe Soukup auf, wie die Berliner Behörden in den nachfolgenden Untersuchungen Beweismittel manipulierten und verschwinden ließen. Für Otto Schily, der den Vater von Benno Ohnesorg in dem Prozess gegen den Polizisten vertrat, war es klar ein „politischer Prozess“. Der Film lässt die Verstrickung der Berliner Behörden offen zutage treten und macht deutlich, wie wichtig rückhaltlose Aufklärung für das Vertrauen in den Rechtsstaat ist. Die Jury würdigte ihn als besonderen Beitrag zu einer gesellschaftlichen Diskussion.

Schmutzige Geschäfte

Brisanter erschien ihr jedoch das Thema, das Christian Gramstadt in seinem Film „Das Gift der Mafia. Und das europäische Gesetz des Schweigens“ verhandelt. In dem Film begleitet Gramstadt den Journalisten Sandro Mattioli, der seit Jahren zur illegalen Entsorgung von Giftmüll im italienischen Kalabrien recherchiert. Die dort ansässige ’NDrangheta, die als mächtigste Mafia-Organisation Europas gilt, dirigiert die Geschäfte mit verstrahltem und anderem hochgefährlichen Müll aus ganz Europa, der im Meer vor der italienischen Küste entsorgt oder irgendwo in einem abgelegenen Tal vergraben wird.

Gramstadt berichtet aus Dörfern, in denen zahlreiche Menschen an Krebs erkrankt sind. Untersuchungen wurden aber immer wieder behindert und eingestellt. Die schmutzigen Geschäfte kontrastieren mit den Bildern idyllischer italienischer Landschaften. Bewahrung der Schöpfung, stellte die Jury fest, hieße auch, diese Verbrechen aufzuklären. Geisendörfer Preis also für die Aufbereitung dieser engagierten Recherche.

Der zweite Geisendörfer Preis in der Rubrik Fernsehen ging an den Fernsehfilm „Das Leben danach“ (ARD/WDR), der sich sieben Jahre nach dem schrecklichen Unglück bei der Loveparade in Duisburg mit den Folgen für die Überlebenden und für die Stadt befasst. Wie schwer die Duisburger bis heute an dieser Tragödie tragen, berichtete Volker A. Zahn, der gemeinsam mit seiner Frau Eva das Drehbuch für den Film verfasste, bei der Preisverleihung in München: Bei der Recherche hätten sie festgestellt, das sei immer noch ein „emotionales Minenfeld“.

Im Mittelpunkt des Films, bei dem Nicole Weegmann Regie führte, steht das Mädchen Antonia, das die Massenpanik bei der Party überlebte. Doch ihr Leben ist durch die Katastrophe aus den Fugen geraten: „Die, die tot sind, das sind die Guten. Und wir, die überlebt haben, wir sind die Kaputten, die Arschlöcher, die nichts auf die Reihe kriegen“, sagt sie. Noch immer bestimmen Trauer, Angst, Zorn und Schuld ihre Gefühlswelt, entladen sich in Zerstörung und Selbstzerstörung. Antonia trifft auf den Taxifahrer Sascha, deutlich älter als sie, dessen Leben ebenfalls seit der Loveparade ein anderes ist: Seine Familie ist zerbrochen, auch er kämpft mit Schuldgefühlen. Die beiden verbindet ein gemeinsames Schicksal.

In seinem früheren Leben war Sascha Ingenieur. Aufgrund von seinen Berechnungen - so erzählt es der Film - sei die Loveparade an diesem Ort genehmigt worden. Als Toni erfährt, dass er „einer von den Schuldigen“ ist, will sie auch Sascha zerstören. So wird „Das Leben danach“ zu einem hochkomplexen, sehr intelligenten Trauerdrama, das sich konsequent mit dem Trauma der Überlebenden und deren Schuldgefühlen auseinandersetzt. Regisseurin Nicole Weegmann inszeniert die beiden gebrochenen Figuren eindringlich und lässt die Zuschauer auch in ihre emotionalen Abgründe blicken.

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Sebastian Arlt

Das Gift der Mafia. Und das europäische Gesetz des Schweigens. Radio Bremen/ARTE, Produktion: Friedrich Steinhardt, Caligari-Film
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Das Leben danach. Westdeutscher Rundfunk, Redaktion: Fernsehfilm und Kino, Produzent Valentin Holch, Co-Produktion: Polyphon Film- und Fernsehgesellschaft